Um das Theater will ich ringen

… wie schwierig es ist, sich verständlich zu machen, wenn die Idee dahinter sich von der Konvention zu befreien sucht, weil ich darin vorkommen will; man also nicht zurückgreift auf die Bilder die funktionieren, die dann eben den Blick verstellen auf das Wesentliche. Und worum soll es denn gehen im Theater, in der Kunst, im Leben, wenn nicht ums Wesentliche.
Wie schwierig es ist, eine zärtliche Einladung zur Begegnung auszusprechen, in der dann Bilder und Konkretes erst entstehen, die jene Ideen und Einstellungen zur Welt überflügeln, die wir mitgebracht haben.
Wie schwierig…

Was funktioniert, hat eben nicht recht! Wenn es mir nicht gelingt das zu begreifen, dann ist alles umsonst.

Am liebsten möchte ich einfach richtig gutes Theater machen, zusammen mit Menschen die auch ein wenig bereit sind zu sterben, weil sie die Konsequenzen die sich daraus ergeben, ernst nehmen. Ich habe mir einige herausragende Fähigkeiten erarbeitet die es dazu braucht und ich dürste danach, diese in Gänze auch auszuschöpfen, damit sie Platz machen für neue Möglichkeiten in mir.
Wo ist dann dein Problem, werden sie sagen.
Und sie haben recht wenn sie das sagen, auch wenn sie nicht wissen warum. Auch wenn sie nicht verstehen, dass es auch an ihnen liegt Verantwortung zu übernehmen für unsere Begegnung, haben sie recht wenn sie das sagen, denn es ist an mir darum zu ringen mich verständlich zu machen, mit allem was ich denke zu begreifen, – nicht an ihnen mir zuzuhören.
Wem sollen wir denn noch zuhören, bei all dem Geschrei und Gezerre um uns her, wenn nicht uns selbst.
Ich will ein Theater, in dem es mir gelingt mir selbst zuzuhören in der Begegnung; nicht dem was auf mich niederprasselt, nicht dem was aus mir selbst auf mich niederprasselt, von vor zwei Tagen oder drei Stunden oder einer Minute oder gerade jetzt; sondern mir selbst, dort wo ich erst hervorgehe: in der Begegnung.
Das ist ein Theater, um das gerungen werden will, immer von neuem.
Um dieses Theater will ich ringen, nicht um Verhältnisse, seine und meine. Um ein solches Theater kann nämlich nur ringen, wer sich nicht im Ringen um Verhältnisse aufreibt und damit stirbt am Geist und am Leib und nicht am Theater.
Ich will am Theater sterben, immer wieder.
Ich will sterben lernen, um das Wesentliche zu entdecken und darin aufzuerstehen.
Ja, ich will geloben den selbstreferentiellen Teufelskreis in den meine Kultur notwendig geraten ist, in mir freiwillig zu durchbrechen.
Ich gelobe die Bereitschaft in diesem ganzen Theater zu sterben; diese Bereitschaft in mein Bewusstsein einzubrennen. Ich gelobe sie vorauszusetzen für jeden Moment.
Nur wer das von sich einfordert, kann doch überhaupt noch den Mut haben konkret zu werden ohne sich zynisch über das Leid der Welt zu erheben. Einer Welt, die unter dem Diktat der Abstraktion der Abstraktion des all zu Konkreten zu zerbrechen droht.
In dieser Welt ein zärtliches Theater, ein gigantisch zärtliches Theater, das den Mut hat so zu erzählen, und die Kraft, und die Radikalität, dass ich mir dabei zuhöre.
Um das Theater will ich ringen.
Als Mensch der ein Künstler ist, will ich ringen.
Und wenn jeder Mensch ein Künstler ist, dann bedeutet das, dass der Künstler eben auch Brot backen muss und einen Weg finden, wie er vorkommt, als Mensch, und als Künstler, beim Brotbacken und beim Ringen; –

„…ich…ziehe…in Betracht, daß die Welt Hunger hat und daß sie sich nicht um Kultur kümmert; daß man künstlich Gedanken wieder auf die Kultur lenken möchte, die nur auf den Hunger gerichtet sind. Das Vordringliche scheint mir weniger in der Verteidigung einer Kultur zu bestehen, deren Vorhandensein noch nie einen Menschen aus der Angst vor dem Hunger, von der Sorge um ein besseres Leben befreit hat, als vielmehr darin, dem, was man Kultur nennt, Vorstellungen abzugewinnen, deren lebendige Kraft mit der des Hungers untrennbar eins ist. Was uns vor allem not tut, ist Leben und… daß uns etwas das Leben möglich macht – und was aus unserm geheimnisvollen Inneren entspringt, soll nicht immer nur auf Verdauung aus sein und uns dafür einspannen.
Ich will sagen, wenn es für uns alle darauf ankommt, jetzt und gleich zu essen, so kommt es doch noch mehr darauf an, daß wir nicht um des bloßen Essens willen unsre einfache Kraft, Hunger zu haben, vergeuden.

Man muß…einen durch das Theater erneuerten Sinn des Lebens…“ erringen, „wo sich der Mensch unerschrocken dessen bemächtigt, was noch nicht ist, und es entstehen läßt. Und alles, was noch nicht entstanden ist, kann noch entstehen, vorausgesetzt, daß wir uns nicht damit zufriedengeben, bloß aufnehmende Organe zu bleiben.“ 1)

– vorausgesetzt, dass wir uns nicht damit zufriedengeben, uns vor dem Entstandenen bloß beugen zu müssen, sondern es selbst in Frage stellen; weil ich nicht bereit bin, an seinen Folgen zu ersticken. Und ich lade jeden ein, diese Achtsamkeit mit mir zu üben, radikal im Theater um das ich ringe. Dieses Theater entsteht dort wo ich bin, wenn es mir gelingt zu begegnen. Und es hat sich zu messen, an seiner und meiner Wirklichkeit, immer wieder; damit sie über sich hinaus wächst, ohne uns über den Kopf zu wachsen.

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Boris Pietsch, Pfingstsonntag 2011.

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1) Antonin Artaud, aus dem Vorwort zu „Das Theater und sein Double“ – Das Theater und die Kultur S. Fischer Verlag, Deutsch von Gerd Henninger

→ Die Bauchlandung der Supernase

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